Fachvortrag von Plan-Beraterin aus dem Senegal bei uns in Stuttgart/Gerlingen
vonAlice Behrendt, die seit sechs Jahren in Dakar, Sénégal, lebt und von dort aus im gesamten Gebiet West- und Zentralafrikas als Beraterin für das Kinderhilfswerk Plan International Deutschland e.V. tätig ist, berichtete über ihre vielfältigen Projektarbeiten zum Schutz von Kindern in diesen Regionen. Der Vortrag, der als Themenabend die diesjährige women@bosch Herbstveranstaltung bildete, widmete sich einer fortgesetzten Menschenrechtsverletzung, die in der öffentlichen Wahrnehmung stets nachrangig auftaucht. „Traditionen in fremden Kulturen: Weibliche Genitalbeschneidung – was geht es uns an?“ So lautete der Titel, der bewusst die Verunsicherung implizierte, die sich bei diesem Thema meist einstellt. Gleichzeitig war es aber auch ein Hinweis darauf, dass die jahrtausende alte Tradition der weiblichen Genitalbeschneidung im Zuge sich ausweitender Migration auch in Deutschland Fuß fasst. Denn Frau Behrendt führt zurzeit eine Studie genau zu diesem Thema in Deutschland durch!
Die Wurzeln dieser Tradition sind indes nicht gesichert, religiös verankert sind sie nicht. Bereits im alten Ägypten wurde beschnitten, was man an Mumien nachweisen konnte. Heutzutage findet man oftmals Formulierungen wie, „es wird empfohlen…“ mit denen die Praktik sowohl in islamisch geprägten Gebieten wie auch in christlich geprägten Gebieten motiviert wird. Schätzungen zufolge sind jährlich 2 Mio. Mädchen betroffen, und zwar in den Ländern West- und Zentralafrikas entlang der Äquatorlinie. Den Mädchen wird auf diese Weise der Zutritt zur Stammesgesellschaft ermöglicht, und das ist von existentieller Bedeutung. Die Volksgruppen, die sich politischen Verwerfungen und permanenter Bedrohung durch Missernten ausgesetzt sehen, sind auf ein funktionierendes Sozialnetzwerk angewiesen. Eine Verbannung aus dieser Gemeinschaft, beispielsweise durch Nichteinhaltung wichtiger Traditionen, ist ein sicheres Todesurteil! In diesem Sinne machte Frau Behrendt darauf aufmerksam, dass eine betroffene Frau oder ein betroffenes junges Mädchen sich zunächst weder als Opfer noch als „verstümmelt“ erachtet und daher schon die Wahl einer angemessenen Terminologie von äußerster Wichtigkeit ist, um den vertrauensvollen Zugang zu den afrikanischen Frauen zu bekommen. Und das wiederum ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Projektarbeit. Bei der Lobbyarbeit in den westlichen Ländern ist eine dramatischere Wortwahl jedoch eher angemessen, um dem Thema zu einem größeren Forum zu verhelfen, steht hier doch außer Frage, dass es sich um eine Menschenrechtsverletzung handelt.
Ihre Art ist das plakative Zurschaustellen jedoch nicht, vielmehr setzt Frau Behrendt den Schwerpunkt auf die Berichterstattung der Projekterfolge und des positiven Bewusstseinswandels, der sich vielerorts eingestellt hat. Durch Aufklärungsarbeit, die gemeinsam mit einheimischen Hilfsgruppen durchgeführt wird und deren Ziel es ist, den Gemeinden Trainings zu Alternativritualen anzubieten, um eine Initiation, also eine Aufnahmenzeremonie in die Erwachsenengesellschaft, zu ermöglichen.
Gegenseitiges Vertrauen ist dabei die Grundlage der Zusammenarbeit, müssen sich die Gemeinden doch verpflichten, eine bzw. wiederholte Untersuchungen ihrer 5- bis 25-jährigen weiblichen Mitglieder zu gestatten. „Dieses Thema braucht keine Helden, die dogmatisch vorgehen“, war von Frau Behrendt zu erfahren – mit gesetzlichen Regelungen ist dem Thema beispielsweise gar nicht beizukommen, weil die Riten oft in sogenannten Geheimgesellschaften, also völlig zurückgezogen stattfinden. Ein Netzwerk von engagierten Helfern und Helferinnen, die äußerst behutsam agieren, ist die einzige Möglichkeit einen Bewusstseinswandel von innen zu erzielen. „Vor Ort arbeiten alle Organisationen zusammen!“ war dann auch die beruhigende Botschaft.
Durch Völkerwanderungen über die hergebrachten Stammesgrenzen hinaus, oftmals Flüchtlingsströme, werden die traditionellen Strukturen teilweise aufgebrochen und z.B. Mischehen geschlossen. Dadurch ist vereinzelt ein Umdenken bezüglich der Notwendigkeit der weiblichen Genitalbeschneidung zu verzeichnen. In diesen Gebieten kann dann oftmals eine fruchtbare Projektarbeit gegen die weibliche Genitalbeschneidung gemacht werden. Besonders erfreulich ist dabei, ein Erstarken des Selbstbewusstseins der jungen Frauen zu erleben, die mit Stolz ihren Status als unbeschnittene, intakte, vollwertige Frauen öffentlich machen.
Die Migrationsströme Richtung Europa tragen das Thema jedoch auch nach Deutschland. Fern der Heimat, in einer Situation großer Verunsicherung suchen viele Exilafrikaner ihre Identität durch ein Festhalten an den ureigenen Traditionen. Und auch hierzulande kommt man mit gesetzlichen Mitteln nicht weit. Eine Fahrt nach Paris, wo die afrikanischen Gemeinden sehr groß und gefestigt sind, ermöglicht den Besuch einer der zahlreichen dort lebenden Beschneiderinnen und den Akt der Beschneidung nach genau dem „gewünschten“ Stammesritual. Schließlich ist auch für die im europäischen Ausland lebenden Afrikanerinnen die Aufnahme und der Verbleib in ihrem jeweiligen Sozialnetz unerlässlich. Ein staatliches Kontrollinstrument zur Durchsetzung der bestehenden Gesetzgebung erscheint völlig undenkbar. Somit gilt auch hier: Aufklärung und behutsame Überzeugung ist die einzige Chance, der Praktik der weiblichen Genitalbeschneidung entgegen zu wirken. Und dies sowohl auf Seiten der Migranten als auch auf deutscher Seite (Frauenärzte, Behörden etc.). Eine aufgeschlossene und von Respekt geprägte Integrationspolitik ist auch hier der Schlüssel zum Erfolg.
Vor rund 40 Teilnehmern konnte Frau Behrendt in ihrem 90-minütigem Vortrag gefolgt von einem kurzen Filmbeitrag über die erfolgreiche Projektarbeit in Guinea und der anschließenden von Frau Großmann moderierten Fragestunde unsere Aufmerksamkeit auf dieses wenig beachtete Thema lenken. Eine Literaturauslage und insbesondere das leckere Büffet rundeten den Abend auf das Positivste ab.